Eine unerwartete Wendung

von Moritz und Kenny

 Hallo, ich bin Cola. Die anderen nennen mich bei meinem Spitznamen – Coke. Ich bin ein Getränk, wie ihr euch vermutlich denken könnt. Sehr beliebt sind meine Kumpels und ich bei den Kindern. Ich weiß nur nicht, was sie an uns so finden, weil eigentlich sind wir sehr ungesund, aber naja.

Oh, der Besitzer vom Kiosk ist da. Er wird jetzt den Laden öffnen und die Kinder reinlassen und … och nee … ich sehe schon so unglaublich viele Kinder. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht entführt werde. Soviel wie heute war im Kiosk noch nie los. Die Fantas rechts von mir sind schon alle weg, und links von mir sind auch nur noch wenige Sprites übrig. Ständig kommen Kinder herein und kaufen meine Kumpels. Was ist heute bloß los!? Ich frage eine alte Flasche unter mir: „Hast du schon mal solch eine Menschenmasse gesehen?“ Sie antwortet mit Ja.

Oh nein! Jetzt greift ein Junge nach mir und nimmt mich mit! Wow! Hatte Funny Frisch doch recht, dass es außerhalb des Kioskes eine schönere Welt gibt! Auf der Straße dreht das Kind meinen Kopf auf. Aua! Kannst du mich nicht vorher warnen? Plötzlich nähert sich ein großes, schleimiges Loch und schlürft an mir. Eine Hand hebt mich hoch, sodass ich halb auf dem Kopf stehe. Ich glaube, dass das der Mund des Menschen ist. Vermutlich wollen die Menschen so die Flüssigkeit aus uns rauskriegen. Ich bemerke, wie die Flüssigkeit aus mir langsam verschwindet und mir leicht schwindelig wird.

Wir gehen mit anderen Kindern auf ein großes Gebäude zu und dabei sehe ich, wie mein Freund Cola Light ohne Flüssigkeit im Müll landet. Ich sehe noch mehrere meiner Freunde, die so ähnlich enden. Der Junge steckt mich in seine Tasche und geht in das große Gebäude. Nach einiger Zeit holt er mich raus und schlürft weiter an mir. Er stellt mich dann auf einen ziemlich zerkratzten, angemalten Tisch ab. Der Tisch tut mir wirklich leid, weil angemalt und zerkratzt würde ich jetzt nicht sein wollen.

Tisch: „Du hast aber Glück.“

Flasche: „Findest du?“

Tisch: „Jaaaaaa…, denn du siehst ja, dass ich angemalt und zerkratzt bin. Findest du das schön? “
Flasche: „Ok, du bist nicht der Schönste, aber ich finde es auch nicht angenehm, dass an mir genuckelt wird.“

Tisch: „Siehst du diese tiefe Delle in meiner Tischplatte?“

Flasche: „Ja, schon.“

Tisch: „Ich werde dir erzählen, wie das passiert ist: Es war am Tag meiner Fertigung, ein sonniger Sommertag, unter schwerem Geächze der Arbeiter wurde ich in dieses Gebäude geliefert. Fast angekommen, am Treppenende, rutschte eine Hand des Arbeiters ab. Alles verlief für einen kurzen Moment in Zeitlupe, die erstaunten Gesichter, das grelle Licht der Lampen, der mit Fliesen bedeckte Boden und die Treppenstufen, auf die ich unaufhaltsam zuraste. Der Aufprall erschütterte mich bis ins Mark. Ein Stechen entbrannte in meiner Seite. Ich schrie auf und mein ganzer Schmerz und Frust brachen aus mir heraus, doch die Menschen hörten mich nicht. Die Zeit verlief dann wieder in normalen Bahnen. Ich hörte das Fluchen meiner Träger und als ich an mir herunterblickte, sah ich eine tiefe Delle in meiner rechten Ecke.“

Flasche: „Und wie kam es zu deinen ‚Bemalungen‘?“

Tisch: „Ok, dann werde ich dir auch das noch erzählen: Als ich im Klassenzimmer ankam, verlief der restliche Tag ruhig. Doch am nächsten Morgen betraten mehrere Kinder das Klassenzimmer. Nachdem sich dann alle hingesetzt hatten, saßen zwei Kinder an mir. Ich empfand es als sehr unangenehm, da sie mir auf die Pelle rückten. Zu meinem Missfallen bemerkte ich, dass sie nicht dem Unterricht folgten, sondern es lustig fanden, mich zu verunstalten. Dabei war meine Delle besonders beliebt. Als es läutete, verließen die Schüler das Klassenzimmer. Doch schon kamen neue „Schafe“, so habe ich sie heimlich getauft. Als ich aufblickte, sah ich nur einen Schüler an meinem Platz sitzen. Er war nicht so gemein wie die anderen, sondern stellte bloß dich auf mich. Das ist meine leidvolle Geschichte, wie ich hierherkam und warum ich so aussehe.“

Flasche: „Stimmt, du hast richtig viel Leid erfahren.“

So unterhalte ich mich weiter mit dem netten Tisch, doch der Junge unterbricht uns öfters und schlürft an mir, bis ich leer bin. Ich habe jetzt ein komisches Gefühl. Ich befürchte, mir passiert das gleiche wie Cola Light. Nein? Der Junge legt mich in seine Tasche und beim Läuten gehen wir los. Ich kann mich gar nicht mehr richtig vom Tisch verabschieden. Die einzigen Worte, die ich ihm noch zurufe, sind, dass wir uns bestimmt noch einmal begegnen werden.

Ich frage mich die ganze Zeit, was jetzt mit mir passiert, bis mich der Junge auf einmal wieder rausholt. Aber wir sind nun ganz woanders. Da kommt eine Frau und sagt zu dem Jungen, dass er Hausaufgaben machen soll. Ich weiß zwar nicht was Hausaufgaben sind, aber ich vermute, es ist etwas nicht so Gutes, weil der Junge jetzt tiiiiiief Luft holt.

Der Junge rennt in sein Zimmer und schmeißt mich einfach so in einen grünen Beutel, in dem schon andere leere Flaschen liegen. Ich frage ängstlich eine Flasche unter mir: „Weißt du, was mit uns passiert?“ Die Flasche weiß es auch nicht, aber eine andere Flasche ganz unten antwortet: „Wir werden wiedererschaffen.“ Ich halte es für unsinnig und glaube ihr nicht.

Tage vergehen, währenddessen lerne ich neue Freunde kennen. Es kommen noch andere Flaschen in die Tasche. Endlich bewegt sich der Beutel. Es scheint, dass jemand uns trägt. Nach einer kleinen Wegstrecke legt der Mensch uns wieder ab. Wir bewegen uns auf einmal sehr schnell. Ich glaube, wir sind in so etwas wie in einem Auto drinnen. Einige von euch fragen sich jetzt bestimmt, woher eine Flasche weiß, was ein Auto ist. Ich sage es mal so, der Verkäufer im Kiosk fuhr öfters mal mit einem Gefährt und er nannte es immer Auto. Aber zurück zur Geschichte. Wir halten an und der Mensch holt uns raus. Danach nimmt er eine nach der anderen aus dem Stoffbeutel heraus und legt uns in ein Loch, wo wir von einem schwarzen Band nach hinten gefahren werden. Vor mir sehe ich, wie einer meiner neuen Freunde um die Ecke verschwindet, doch als ich um die Ecke komme, ist er weg. Ich sehe nur noch eine große Maschine. Als ich da bin, wird mir plötzlich schwarz vor Augen.

Ich komme wieder zu mir, aber meine Augen gehen nur sehr mühsam auf. Als sie endlich offen sind, traue ich meinen Augen nicht. Ich bin wieder voll! Mein Kopf ist wieder verschlossen! Und ich bin wieder in einem Kiosk, in dem auch andere Flaschen sind. Mir wird klar, dass wir Flaschen, wenn wir leer sind, durch eine Maschine wieder befüllt und geheilt werden können.

Das erzähle ich gleich den anderen Flaschen und versuche ihnen zu erklären, dass sie keine Angst mehr haben müssen, weil wir wiedererschaffen werden. Doch sie halten es genau wie ich am Anfang für lächerlich und glauben mir nicht.

Einige Wochen später werden sie von den Kindern mitgenommen.

Ich hoffe, es sind nette Kinder, die sie nicht einfach wegwerfen, – sondern die leeren Flaschen zu der Maschine bringen, die uns ein neues Leben schenkt. Denn dann werden sie wiedererschaffen und glauben mir endlich.

 

Diesen Text kann man in gekürzter Fassung hören unter: https://soundcloud.com/arrivalnews/kinderseite-unerwartete-wendung-ausgabe-042021