„Der geheimisvolle Spiegel“ war ein einjähriges integriertes Lese-, Schreib- und Theaterprojekt, dass wir 2010/2011 im Rahmen eines Schulworkshops zum Thema „Kreatives Schreiben“ als Intensivförderung mit einer sechsten Hauptschulklasse (gefördert von der Dr. Rudolf und Christa Castringius Kinder- und Jugend-Stiftung München) durchführten.

 

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Ein Jahr Lese-, Schreib- und Theaterwerkstatt: Versuch eines Rückblicks

Als wir im September des Schuljahres 2010/11 mit unserem
Projekt starteten, war mir doch etwas mulmig ob der Dimension
unseres Vorhabens, sowohl was den Zeit- und Arbeitsaufwand wie
auch die anspruchsvolle Zielsetzung betraf – die Steigerung der Lese-,
Schreib- und Sozialkompetenz einer 6. Hauptschulklasse. Das ist,
wie ich aus langjähriger Berufserfahrung sagen kann, kein einfaches
Unterfangen.

Je weiter das Projekt aber fortschritt, desto mehr verblasste meine
Skepsis und wich allmählich einem zaghaften Optimismus. Als die
Schüler damit begannen, sich im Rahmen des Schreibwettbewerbs
zum Münchner Klimaherbst 2010 Umweltgeschichten auszudenken
und zu Papier zu bringen, anfangs noch recht unbeholfen, unter der
Anleitung von Gitta Gritzmann aber zunehmend geschickter, war bei
vielen Kindern die Angst vor dem Schreiben, die sich im Laufe ihres
bisherigen Schülerdaseins aufgebaut hatte, kaum mehr spürbar.

Eine zusätzliche Motivation war sicher der unerwartete Erfolg, der
sich für ein Mitglied der Klasse 6a, Nora Krause, einstellte, die bei der
Preisverleihung des Münchner Klimaherbstes 2010 im Rathaus, begleitet
von Mitschülern, einen wohlverdienten Preis für ihre Geschichte
entgegennehmen durfte.

Nach diesem beachtlichen Erfolg stieg die Klasse dann ins eigentliche
Thema „Vampir- und Gruselgeschichten“ ein. Dies geschah in der
Münchner Stadtteilbibliothek Obergiesing, wo die Kinder mit Medien
aller Art, einem Rätsel zum Thema und sogar einem Interview für Radio
Feierwerk konfrontiert wurden, für viele ebenfalls eine spannende
Erfahrung. Frau Holocher aus der Stadtteilbibliothek stellte uns dankenswerterweise
auch ein riesiges, bunt zusammengestelltes Medienpaket
zum Thema zusammen, bestehend aus vielen Büchern, CDs und
DVDs, das wir das ganze Schuljahr über im Klassenzimmer behalten
durften und das mit anderen Materialien einen Teil der Grundlage
unserer Arbeit bildete.

Frau Gritzmann trug, quasi als Textbegegnung, einige Gruselkurzgeschichten
vor, die die Kinder in Bann schlugen. Schnell liehen sie sich
selbst Bücher aus dem Medienpaket aus, lasen sie aufmerksam durch
und trugen den Inhalt der Klasse vor, wobei vor allem Milos und Can
hervorzuheben sind, denen es gelang, einen nahezu freien Vortrag
über ihre ausgewählten Geschichten zu halten und damit die Bewunderung
ihrer Klassenkameraden zu erringen. Das mündliche Vortragen
ausgewählter spannender Texte von Schülerinnen und Schülern
sowie die Präsentation der von ihnen selbst erfundenen Geschichten
vor der Klasse ist ein wesentlicher Baustein des Konzepts von Frau
Gritzmann im Rahmen dieses integrierten Lese -, Schreib – und Theaterprojektes
„Kreatives Schreiben“.

Es folgten zahlreiche Stunden im Computerraum der Schule, wo die
Schüler Ideen entwickelten, im Internet Hintergründe recherchierten
und an ihren Entwürfen feilten. Schließlich war ein bunter Strauß von
Geschichten entstanden, unter denen zwei ausgewählt wurden, um als
Ausgangsmaterial für das geplante Theaterstück zu dienen.

Hier begann am 1. April 2011 also die eigentliche Theaterarbeit und
damit der Einsatz der Theaterpädagogin Frau Apfel, die den Kindern
auf spielerische Weise Grundlagen des Theaterspielens und des Agierens
auf einer Bühne beibrachte. Die Kinder, zunächst noch recht
unsicher und steif, wurden zunehmend selbstbewusster und lockerer.
Als es schließlich an die Aufgabenverteilung ging, teilte sich die
Klasse in zwei Gruppen – die einen drängten auf die Bühne, wollten
unbedingt eine Rolle übernehmen, wuchsen in diese hinein, indem
sie erst ihre Texte improvisierten und schließlich das ausgearbeitete
Drehbuch in erstaunlicher Geschwindigkeit auswendig lernten. Trugen
sie ihre Texte anfangs noch ziemlich steif vor, wuchsen sie durch
intensives Üben unter enormem Zeitaufwand und oft weit über das
offizielle Unterrichtsende hinaus immer mehr in ihre Rollen hinein.
Die anderen wollten lieber im Hintergrund bleiben, machten sich als
Bühnenarbeiter nützlich und feilten an Requisiten und Dekomaterial
herum. Selbst am Samstag fanden sich alle Schüler, denen doch sonst
ihre Freizeit viel wichtiger ist als alles, was irgendwie mit schulischer
Arbeit zusammenhängt, in der Schule ein, um von 10.00 Uhr bis
17.00 Uhr zu proben.
Im Eifer der Vorbereitungen auf den Vorführabend bedauerten es
mittlerweile doch einige der „Hintergrundarbeiter“, keine Bühnenrolle
übernommen zu haben. Die Autoren der beiden Geschichten, aus
denen das Theaterstück entstanden war, sollten auf jeden Fall ihren
Moment auf der Bühne haben und durften ihre Texte vor Beginn der
eigentlichen Aufführung dem Publikum vortragen.
Höhepunkt des ganzen Schuljahres war natürlich die Aufführung vor
den meisten Eltern und sonstigen Angehörigen der Schüler, großen
Teilen des Kollegiums der Hauptschule an der Cincinnatistraße sowie
anderen Interessierten, die die Projektwerkstatt der Schule nahezu
füllten. Es war eine wahre Freude, die Kinder zu beobachten, wie sie
ihrem großen Auftritt entgegenfieberten, sich gegenseitig schminkten,
letzte Tipps gaben und sich in jeder Form gegenseitig unterstützten.

Nachdem sie ihren Auftritt bravourös gemeistert hatten, sah man
ihnen den Stolz deutlich an, der sie erfüllte, als sie noch einmal gemeinsam auf der Bühne standen und ihren wohlverdienten Applaus
entgegennahmen.

Auch beim Abbau der Requisiten und Kulissen, der noch am selben
Abend notwendig war, da der Raum am nächsten Tag wieder anderweitig
genutzt werden sollte, halfen die Schüler noch einmal vorbildlich
zusammen.
Bei einer abschließenden Feedback-Runde in der letzten Schulwoche
mit Frau Gritzmann wurde deutlich, dass die Schüler jeden Aspekt
dieses Projekts, nicht nur das Theaterspielen, sondern auch das sonst
ungeliebte Lesen und Verfassen von Texten genossen und als wertvolle
Bereicherung empfunden haben. Dem Plan, das Stück im nächsten
Schuljahr noch einmal vor der ganzen Schule aufzuführen, stimmten
alle begeistert zu. Es bleibt zu hoffen, dass die aufgeflammte Freude an
der Auseinandersetzung mit spannender Literatur und der kreativen
Gestaltung von Geschichten sowie der entstandene Zusammenhalt
und Gemeinschaftsgeist in der Klasse den Schülern möglichst lange
erhalten bleibt.

Ich für meinen Teil bin jedenfalls glücklich darüber, dass ich dieses
Projekt mit meiner Klasse durchführen durfte und allen Beteiligten,
die durch ihren tollen Einsatz diesen Erfolg möglich machten, von
Herzen dankbar.

Hans Siebauer (Klassenlehrer der Klasse 6a/Hauptschule an der Cincinnatistraße)


Aus: Der geheimnisvolle Spiegel und andere Geschichten der Klasse 6a,

Herausgeber: Kinder lesen und schreiben für Kinder e.V., Münchner Stadtbibliothek,
München, Juli 2011