Die Entführung der Queen

von Mio, 13 Jahre 

Rick Taylor geht langsam durch die dunkle und schmale, dreckige Gasse. Er denkt: „Wenn man diese Straße hier sieht, denkt man nicht mehr, dass wir in der modernen Finanzmetropole London sind. Das hier sieht eher nach irgendwelchen Straßen in Mumbai aus.“ Er geht schnell und zielstrebig durch die Gasse, während er sich verstohlen umblickt, um sich zu vergewissern, dass ihm niemand folgt. Was er jetzt gleich machen würde, ist hochgradig illegal und Rick ist sich dessen bewusst. Aber er hat keine Wahl. Dieser unfähige Absolon O’Murphey darf einfach nicht Polizeichef von London werden, nicht, wenn er das verhindern kann. Rick biegt um die Ecke und erkennt, dass er an seinem Ziel angelangt ist. Das Versteck der europaweit bekannten Verbrecherbande MCHWS.

Langsam nähert sich Rick Taylor der verrosteten alten Eisentür. Er klopft zögerlich an die Tür. Nichts geschieht. Er klopft nochmal, diesmal lauter. Eine Stimme ertönt: „Wer sind sie?“ Rick antwortet angespannt: „Ich bin Rick Taylor und brauche Ihre Hilfe.“ Die Tür öffnet sich einen Spalt breit und er erkennt das Gesicht von Liam Cook, dem wahrscheinlich besten Hacker von Großbritannien. Rick hat ihn so oft auf Fahndungsfotos gesehen, doch nun steht er ihm erstmals direkt gegenüber. „Kann ich reinkommen?“, fragt Rick Taylor vorsichtig. Liam Cook sagt: „Gehen Sie drei Schritte rein und heben Sie Ihre Hände, damit ich Sie auf Waffen untersuchen kann.“ Rick befolgt die Anweisung und lässt sich folgsam abtasten. Als Liam zufrieden ist, darf er eintreten.

Er geht in den nächsten Raum, offenbar eine Art Versammlungsraum, und erkennt auch die anderen der Gruppe: James Miller, der Taschendieb, Sam Hughes, der Schauspieler, Christian Ward, der Manipulator und Oliver Smith, der Fluchtwagenfahrer und Technikexperte. Rick holt tief Luft und fängt an zu sprechen: „Ich habe einen Auftrag für euch: Ihr sollt die Queen bei der Taufe von Prinz Louis entführen und zwei Stunden später wieder freilassen.“ Die Verbrecher schauen ihn verständnislos an. Er erklärt: „Mein Konkurrent auf den Posten des Polizeichefs von London…“ Doch weiter kommt er nicht, denn er wird von James Miller unterbrochen: „Du bist ein Cop?“ „Ja, aber jetzt lass mich doch ausreden. Dieser Konkurrent, Absolon O’Murphey, ist für den Schutz der Royals verantwortlich. Er hätte keine Chance auf eine Beförderung, wenn die Queen entführt wird“, antwortet Rick gereizt. „Warum sollen wir dir vertrauen?“, fragt Liam Cook argwöhnisch. „Ich vertraue ihm“, sagt Christian Ward. „Warum?“, wollen die anderen wissen. „Weil ich ihn kenne, er ist in Ordnung“, antwortet Christian. Damit sind die Gauner besänftigt, stellen aber gleich die nächste Frage: „Was springt für uns dabei raus?“ Rick antwortet: „Zwei Millionen Pfund und absolute Straffreiheit bei dieser Aktion.“ „Nun ist nur noch eine Sache zu klären“, meint Oliver Smith, „wie sollen wir das Anstellen?“ Doch auch hierauf hat Rick eine passende Antwort: „Die Queen fährt in einer Kutsche zu der Taufe, wobei sie nur von zwei symbolischen Wachen geschützt wird. Ihr könnt also die Kutsche übernehmen und dann mit ihr die Barrikaden durchbrechen.“ „Und was machen wir dann?“, will Oliver wissen, doch Sam Hughes flüstert ihm etwas ins Ohr und er fängt an zu grinsen. „Ich lasse euch dann mal machen“, sagt Rick sichtlich entspannter als noch vor fünf Minuten und geht zur Tür hinaus.

Draußen atmet er erstmal tief durch und läuft dann summend durch die Gasse zurück zu seinem Auto.

Zwei Wochen später:

Die Straßen Londons sind in bunten Farben geschmückt. Es ist ein sonniger und warmer Tag im Juni und fast ganz London ist auf den Straßen. Die Strecke zwischen Buckingham Palace und der Westminster Abbey ist abgesperrt und hinter diesen Barrikaden stehen tausende von Menschen. Egal ob jung, alt, groß, klein, Mann oder Frau – alle freuen sich. Unter den Zuschauern befinden sich auch James Miller, und Oliver Smith. Auch Rick Taylor befindet sich in der Menge. Er denkt: „Anscheinend sind die anderen Gauner zuhause geblieben.“ Von überallher schallt Musik und Rick Taylor wird sich noch einmal der vielen Leute bewusst, die zuhause vor ihren Fernsehern sitzen. „Je mehr desto besser“, denkt sich Rick Taylor freudig. „Jetzt darf nur nichts schiefgehen.“ Nicht einmal er kennt den kompletten Plan der Gauner und ist gespannt, wie sie es anstellen wollen. Nun wird es ernst: Die Kutschen nähern sich. Zuerst nähert sich die Kusche mit dem kleinen Prinz Louis und danach … Doch was ist das? Rick Taylor schaut auf. Mehrere vermummte Gestalten besteigen die Kutsche. Aber nicht die Kutsche der Queen, sondern die von Prinz Louis! Die Kutsche versucht die Barrikaden zu durchbrechen, doch schon beim ersten Versuch wird sie von den umstehenden Polizisten abgefangen. „Was machen die denn da?“, denkt Rick Taylor aufgebracht. Nun ist die Kutsche von Polizisten umringt. James Miller und Oliver Smith springen vom Kutschbock und ergeben sich widerstandslos.

Die Kutschen setzen sich wieder in Bewegung und fahren weiter zur Westminster Abbey. Rick Taylor ist außer sich vor Wut. „Jetzt wird dieser widerliche Absolon O’Murphey doch erst recht Polizeichef!“, denkt er wütend. Die Kutschen setzen ihren Weg weiter fort und Rick folgt ihnen, da er die Taufe nicht verpassen will.

Die Kutschen halten vor der Westminster Abbey. Die Türen werden gleichzeitig geöffnet. Ein Schrei ertönt. Es wird ganz still auf dem Platz. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Rick Taylor bahnt sich einen Weg durch die Menge, um sehen zu können, was passiert ist. Es war ein Gardist, der geschrien hatte. Und nun schreit er wieder: „Die Queen! Sie … sie ist …“. Doch weiter kommt er nicht, denn er fällt in Ohnmacht. Doch es erfahren trotzdem alle, was geschehen ist. Denn die riesigen Bildschirme, die die Taufe zeigen sollen, flackern. Das Flackern stoppt und ein vermummtes Gesicht ist zu sehen, das mit verzerrter Stimme spricht: „Wir haben die Queen in unserer Hand. Dieses Land wäre ganz schön am Arsch, wenn wir die Queen wirklich entführt hätten. Doch dies war nur ein Sicherheitstest, durch den die Polizeieinheit unter Leitung von Absolon O’Murphey gerade durchgefallen ist. Die Queen ist nicht in Gefahr. Sie sitzt in ihrem Zimmer im Buckingham Palace und erholt sich von dem Schock. Dort konnten wir auch sehr einfach eindringen. Absolon O’Murphey, Sie sind wirklich ein Stümper. Wir mussten nicht einmal zwei Wachen überwältigen. Und Sie wollen Polizeichef von London werden? Dann kann sich diese Stadt ja gleich in Chicago umbenennen.“ Nachdem die Stimme zu sprechen aufgehört hat, flackern die Bildschirme wieder kurz und zeigen nun Absolon O’Murphey, der rot anläuft und etwas vor sich hin stammelte. Die Menge fängt an, laut zu buhen und es ertönen viele ,O’Murphey raus!´-Rufe. Rick Taylor schaut auf den Bildschirm und lacht sich fast tot: „Diese Gauner sind so kreativ. Unglaublich.“

 

Weitere zwei Wochen später:

Rick Taylor, nun Polizeichef von London, ist auf dem Weg zu dem Versteck von MCHWS. Dort angekommen, erzählt ihm Liam, was wirklich während der Parade passiert ist: „Nachdem James und Oli die Kutsche von dem Prinzen übernommen haben, sind ja alle anderen Kutschen stehen geblieben. Christian und Sam haben daraufhin aus einem Gully heraus ein Loch in den Boden der Kutsche gesägt, die Queen betäubt und in die Kanalisation geschleppt. Da sind sie dann zum Buckingham Palace gegangen, haben die beiden Wachen überwältigt und die Queen in ihr Schlafzimmer gebracht. Währenddessen habe ich die Bildschirme gehackt und mein kleines Video laufen lassen. Jetzt erzähl du mal! Was ist bei der Polizei passiert?“ „Also erst wurden James und Oliver entlassen, da sie ja nur Teil des Sicherheitstests waren. Danach wurde Absolon vom Premierminister und der Queen gleichzeitig gefeuert und ich bin Polizeichef geworden“, antwortet Rick vergnügt.

Ende

Der hier veröffentlichte Text erscheint auch auf der Kinder- und Jugendseite (Seite 9) der Mai-Ausgabe 2022 von ArrivalNews (online). Abzurufen unter: https://www.arrivalnews.de
Die Illustration stammt von Jutta Fegert unter Verwendung von FLATICON, FREEPIk, RAWPIXEL.